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Helfen, wo das brennendste gesellschaftliche Problem liegt easySoft unterstützt die Reutlinger Flüchtlingsarbeit durch einen Minijobber
11|03|2019
easySoft unterstützt die Reutlinger Flüchtlingsarbeit durch einen Minijobber
Seit 2016 arbeitet Martin Tauchmann als Flüchtlingsbeauftrager von easySoft. Der Minijobber steht wie jeder andere Mitarbeiter im Unternehmensorganigramm. Allerdings hat er noch keinen einzigen Tag im Haus gearbeitet. Das kommt so: In der Geschäftsführung haben wir uns vor drei Jahren überlegt, dass die Flüchtlingsthematik das brennendste gesellschaftliche Problem. Und wie in der EKS-Strategie beschrieben, wollten wir genau an dieser Stelle helfen.
Wir haben unser Engagement sogar noch klarer eingegrenzt, weil wir explizit junge männliche Flüchtlinge unterstützen wollten, die zwischen Frauen, Kindern und Älteren schnell übersehen werden. Das hat für uns als Unternehmen der Bildungsbranche zudem den Aspekt, dass deutsche Betriebe sicherlich auch auf Flüchtlinge angewiesen sein werden, wenn es um den Fachkräftemangel geht. Selbst wenn sich inzwischen herausgestellt hat, dass dieser Weg sehr viel schwieriger ist, als wohl alle angenommen haben.

Über die Freikirche ICF Reutlingen haben wir Martin Tauchmann kennengelernt, der bereits seit Ende 2015 ehrenamtlich Flüchtlingsheime besuchte und sich stärker engagieren wollte. Das passt also zusammen. Seitdem berichtet er nun zweimal pro Jahr beim Gesamtmeeting vor allen Mitarbeitern über seine Arbeit und seine Erfahrungen. Zudem ist eine der vier Spendendosen donnerstags während unseres gemeinsamen Mittagessens der Flüchtlingsarbeit gewidmet. Das Spannende an diesem Projekt: Nicht nur die Flüchtlinge verändern sich, wenn sie länger in Deutschland sind. Auch die deutschen Begleiter entwickeln sich durch diese besonderen Kontakte.
Viele werden sich noch an das Foto des toten Flüchtlingskindes an einem Strand im September 2015 erinnern. Martin Tauchmann war damals auf Büsum. Das Bild hat ihn nicht nur berührt, der Pfullinger begann sich in der Flüchtlingsarbeit zu interessieren. Nicht als Gutmensch, der die Welt retten will, sondern wie er sagt, um „nach seinem Gewissen seine Körnchen in die Waagschale zu werfen“. Nach mehr als drei Jahren stellt er fest: „Für manche habe ich den Unterschied gemacht“ und umgekehrt: „Ich habe viel geschenkt bekommen“.
Aus dem Urlaub wieder zu Hause besuchte er mit einem Team seiner Gemeinde das Flüchtlingsheim im ehemaligen Reutlinger Fernmeldeamt. Das hat ihn zunächst Überwindung gekostet, denn er wusste nicht, wem er gegenüber sitzt. Ohnehin waren ihm die Syrer und Afrikaner fremd, denen er vor allem begegnete und eine Verständigung war anfangs nur mit Mimik und Gestik möglich. Später hat er sogar versucht, arabisch zu lernen: „Aber das ist viel komplizierter als die deutsche Sprache“.
Zunächst geht es um die ganz alltäglichen Dinge: Wie kauft man in Deutschland ein? Wie funktioniert der öffentliche Nahverkehr? Was wollen die deutschen Behörden von mir? Der Pädagoge hat sich immer wieder vorgestellt, wie es ihm in Damaskus gehen würde, ohne Sprachkenntnisse und die Gewissheit kultureller Gepflogenheiten. Egal wie schwierig die Kommunikation war, er gab seinen Gesprächspartnern Orientierung und spürte immer wieder deren Dankbarkeit schlicht für sein Da-Sein.
Mit den Jahren wurde dem überzeugten Christen klar, dass alle Menschen unabhängig von Religion und Politik etwas Gleiches wollen: Freiheit, Sicherheit, Gemeinschaft und ein gelingendes Leben. Das, was für den 49-Jährigen in Deutschland völlig selbstverständlich ist, wäre 2500 Kilometer weiter eine unvorstellbare Errungenschaft. „Dass man hier nachts relativ sicher durch die Straßen gehen kann, konnten viele Flüchtlinge zunächst kaum begreifen“, erinnert er sich.
Vielfältig sind seine Eindrücke und nicht nur positiv. Er ist oft sprachlos über den Rassismus einiger Flüchtlinge, etwa zwischen Arabern und Juden oder zwischen Kurden und Türken. „Manche Flüchtlinge sprechen so abfällig über andere Menschen“, wundert er sich, obwohl sie doch ein ähnliches Schicksal teilen. Andere lassen einfach ihre Frauen in der Heimat zurück. Etliche islamische Suren hat Tauchmann gelesen und Allah scheint ihm eher ein „harter Gott“ zu sein. „Der christliche Gott kann auch strafen, aber vor allem ist er barmherzig“, findet er und letztlich ist es auch das Bild des barmherzigen Samariters, das ihn tätig werden ließ.
Andererseits ist er überrascht über die unfassbare Gastfreundschaft der Flüchtlinge. Er erinnert sich, dass er während eines Essens aufstand und alle anderen standen ebenfalls auf – sie ehrten damit ihn als den Ältesten am Tisch: „Das kennen wir in Deutschland überhaupt nicht mehr“. Und er hat viel über Stolz gelernt. Den Syrern und Afrikanern konnte er mal ein Fahrrad besorgen oder für die Kinder Spielzeug. „Heute habe ich das Gefühl, es wäre würdevoller gewesen, wenn auch sie einen kleinen Geldbetrag gezahlt hätten“. Denn viele wollen nicht auf Pump leben, sondern haben inzwischen die Sprache gelernt, suchen jetzt Praktika, wollen einen Beruf lernen oder ihr fachliches Wissen auf deutschen Stand bringen.
Die Bildungsunterschiede zwischen den Flüchtlingen sind enorm, stellt der gebürtige Uracher immer wieder fest. Manche waren nur einige Jahre auf der Schule und mussten bereits als Teenager arbeiten, andere haben in Syrien studiert – entgegen dem gängigen Vorurteil auch Frauen. Auch wenn diese sich mit der Sprache sowie deutscher Ordnung und Pünktlichkeit etwas leichter tun, erkennt Tauchmann, dass die Integration viel länger dauert als gedacht.
Inzwischen hat er arabische Freunde. Er schätzt die arabische Küche, doch findet er die orientalische Musik schräg. Dass die Männer gemeinsam tanzen und so körperlich miteinander agieren, beeindruckt ihn. Dass sie mit Käse und Raclette nichts anfangen können, ist inzwischen auch klar. Und bis heute kann er manche Sichtweisen überhaupt nicht verstehen. Trotzdem fühlt er sich mit einigen eng verbunden. „Ich bin früher kein Reisender gewesen“, sagt Tauchmann, „aber durch die Flüchtlinge ist die Welt zu mir nach Reutlingen gekommen“.